Bildende Kunst – China
Walasse Ting (1929 – 2010)
Der chinesisch – amerikanische Maler und Dichter Walasse Ting verbrachte seine Kindheit und Schulzeit in Shanghai. Bereits in jungen Jahren malte er als Straßenkünstler und lernte zeit seines Lebens weitgehend autodidaktisch. Nur kurze Zeit studierte er an der Kunstakademie in Shanghai. Die Lektüre des „Yi Jing. Das Buch der Wandlungen“, einem Grundlagenwerk des Konfuzianismus, inspirierte Ting zum Reisen. Er zog 1946 nach Hongkong. Dort konnte er seine Bilder in einer Buchhandlung ausstellen und bereits einzelne Exemplare verkaufen.
Fünf Jahre später reiste er fast mittellos nach Paris und entfaltete sofort rege malerische Aktivitäten. Walasse Ting begann neben der bisherigen Aquarellmalerei auch mit Ölfarben zu experimentieren. Von der westeuropäischen Kunst interessierten ihn besonders die Expressionisten, Pablo Picasso und Henri Matisse. Aus Bewunderung für Letzteren änderte er seinen Nachnamen von Hua La Si jetzt in Walasse um.
Schnell schaffte es Walasse Ting, sich als Künstler einen Namen zu machen. Im Herbst 1954 stellte er neue Werke im Rahmen einer Gemeinschaftsausstellung in den Fachetti Studios aus und das Cernuschi Museum erwarb zwei seiner Gemälde. Über seine Freundschaft mit Pierre Alechinsky erlangte er Kontakt zur avantgardistischen Künstlergruppe CoBrA. Diese strebte eine Wiederbelebung des Expressionismus an. Einer gemeinsamen Ausstellung in Brüssel im Frühjahr 1956 folgten Projekte, in denen mit chinesischer und europäischer Malerei, Lyrik und Schrift experimentiert wurde.
Nach sieben Jahren Frankreich zog es den Künstler in die USA wo er ließ sich in New York niederließ. In der Folgezeit reiste Walasse Ting immer wieder nach Nord- und Westeuropa und auf den Spuren Gauguins nach Tahiti. Bis 1962 schaffte er es, sich in Manhattan erfolgreich einzurichten. Er heiratete Natalie Lipton und bald wuchs die Familie um Tochter Mia und Sohn Jesse an. 1974 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Walasse Ting (13.10.1929 Wuxi, China – 17.05.2010 New York, USA)
Seine Freundschaft mit dem Künstler und Friedensaktivisten Sam Francis brachte ihm Zugang zu Vertretern des Pop art und des abstrakten Expressionismus. Ein Höhepunkt dieser Zusammenarbeit folgte bereits 1964 mit der Herausgabe eines der aufregendsten und großartigsten Künstlerbücher der Nachkriegszeit: „One Cent Life“. Neben Gedichten von Walasse Ting beinhaltete es 62 Lithographien von 28 bekannten Künstlern wie Roy Lichtenstein, Andy Warhol, Asger Jorn, Pierre Alechinsky, Sam Francis und von Ting selbst. Der Titel stand nicht nur für ein Gedicht Walasse Tings, sondern sollte auch zum Ausdruck bringen, dass Kunst für alle da sein soll. Diese Möglichkeit, verschiedene Kunstgattungen in einer Publikation zu vereinen, ergriff Ting in den folgenden Jahren mehrfach, insgesamt 13 Bücher umfasst sein Werk. Er dichtete selbst und übersetzte (und illustrierte) chinesische Lyrik in einem Englisch, das die bildliche Kraft der chinesischen Schriftzeichen verständliche macht.
Walasse Ting befand sich auf dem Höhepunkt seiner Schaffensperiode. Üppigkeit und Farbenfreude seiner Bilder erhielten ihre volle Ausprägung, sein Stil wandelte sich zunehmend von abstrakter Kunst zu populär figürlichen Darstellungen. Typische Themen seiner meist mit Acrylfarben gemalten Bilder mit großen Farbflächen stellen nackte Frauen, üppige Blumen und Tiere dar. Seine Werke finden sich heute in zahlreichen Sammlungen und erreichten bereits zu seinen Lebzeiten ein breites Publikum. Mehr als 60 Ausstellungen in bedeutenden Kunstmuseen und Galerien der Welt zeugen davon. 1970 erhielt er den Guggenheim Fellowship Award for Drawing. Anlässlich seines 40. Geburtstages schenkte er dem Cernuschi Museum 40 Gemälde und 42 Studien als Dank für die Förderung in seinen frühen Künstlerjahren. Zwischen 1975 und 1989 hatte Walasse Ting eine Professur für Visual and Environmental Studies an der Harvard Universität inne.
Nach dem Tod seiner Frau 1986 beschloss Ting im Frühjahr des folgenden Jahres mit seinen beiden Kindern für einige Zeit nach Amsterdam zu gehen. Zwei Monate lang fotografierte und skizzierte er täglich junge Holländerinnen, kehrte dann nach New York zurück und malte seine Erlebnisse als Bilder, die er in dem Buch „Jolies Dames“ veröffentlichte. Da ihn Amsterdam an seine Kindheit in China erinnerte und auch seine Kinder von der Stadt beeindruckt waren, nahmen sie fortan ihren Wohnsitz in der holländischen Metropole. Walasse Ting arbeitete und reiste nun ständig zwischen New York, Tahiti und Amsterdam.
Im Jahr 2002 erlitt Walasse Ting eine Hirnblutung, weitere künstlerische Betätigung war ihm nun nicht mehr möglich. Am 17. Mai 2010 verstarb er während eines Aufenthalts in New York.